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„Bitte auch weiter […] mir zu gedenken.
Grüsse u. küsse Euch herzlich“

Schlussworte des Briefs von Feliks Ryba aus dem Außenlager Neu-Dachs, KZ Auschwitz

Briefe aus Auschwitz

Für die Angehörigen der Häftlinge waren Briefe aus den Lagern ein wichtiges Lebenszeichen. Doch oft verlor sich plötzlich jede Spur – so auch im Fall von Feliks Ryba.

Ich bin wissenschaftlicher Volontär der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, als uns im Oktober 2021 eine Anfrage aus München erreicht:

Der E-Mail beigefügt sind zwei Screenshots, welche die widersprüchlichen Angaben zum Todesort in unserer Online-Datenbank zeigen - an einer Stelle Markt Schwaben:

... an einer anderen Stelle Auerbach:

Mir ist die Aufarbeitung der deutschen Besatzung Polens eine Herzensangelegenheit. Zusammen mit Sandra Brandner, die an der Gedenkstätte einen Freiwilligendienst leistet, bearbeite ich die Anfrage.

Auch wir fragen uns, weshalb unsere Datenbank widersprüchliche Auskünfte zum Todesort gibt. Und warum wurde Feliks Ryba auf dem Ehrenfriedhof der Gedenkstätte bestattet? Soweit wir sehen, war er doch kein Häftling des KZ Flossenbürg?

Recherche in den Arolsen Archives

Da wir zu Feliks Ryba keine Haftdokumente haben, müssen wir in anderen Archiven recherchieren.

Als Erstes suchen wir seinen Namen in der Online-Datenbank der Arolsen Archives. Wir erhalten dreizehn Treffer, darunter auch Unterlagen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit.

Auf Befehl der Alliierten mussten die Kommunalverwaltungen ab 1946 Listen erstellen über ausländische Personen, die sich während des Kriegs in ihrem Verwaltungsbereich befanden - etwa als Zwangsarbeiter*innen, Kriegsgefangene oder KZ-Häftlinge. Polizei, Justiz, Firmen, Krankenhäuser und weitere Stellen lieferten ebenfalls Zusammenstellungen. Im Zuge der sogenannten Ausländersuchaktion entstanden hunderttausende Listen, die nicht zuletzt zur Schicksalsklärung genutzt wurden.

Liste in Auerbach verstorbener Personen polnischer Staatsbürgerschaft, 7.8.1946 (Arolsen Archives)

Das Dokument kann vollständig im Online-Archiv der Arolsen Archives betrachtet werden.

Eine solche Liste des Landkreises Eschenbach gibt uns die wichtige Information, dass Feliks Ryba am 18. Mai 1945 im DP-Lager 147 in Auerbach verstarb. Als Todesursache sind eine Herzlähmung sowie Unterernährung angegeben. Er wurde zunächst auf dem Auerbacher Friedhof bestattet.

In der Online-Datenbank der Arolsen Archives finden wir auch Dokumente des KZ Buchenwald:

Obere Hälfte des Häftlingspersonalbogens von Feliks Ryba im KZ Buchenwald, 1945 (Arolsen Archives)

Das Dokument kann vollständig im Online-Archiv der Arolsen Archives betrachtet werden.

Aus dem sogenannten Häftlingspersonalbogen geht hervor, dass Feliks aus der Stadt Tomaszów Mazowiecki stammte. Die Eintragung „Au 162344“ bedeutet, dass er zunächst mit der Häftlingsnummer 162344 in Auschwitz war. Mit einem Stempel wurde vermerkt, dass er am 10. Februar 1945 aus dem KZ Groß-Rosen nach Buchenwald kam. Dort erhielt er die Nummer 129601.

Wir wenden uns deshalb an das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau und das Staatsarchiv in Tomaszów Mazowiecki, um mehr Informationen zu Feliks' Verhaftung und Deportation zu erhalten.

Deportation nach Auschwitz

Nach kurzer Zeit antwortet uns das Staatsarchiv in Tomaszów Mazowiecki:

Das Archiv des Museums Auschwitz kann uns weitere Auskünfte geben:

Im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau angekommen, erhielt Feliks die Häftlingsnummer 162344 und wurde in das Quarantänelager BIIa gebracht.

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Nach der Quarantäne kam Feliks in das Männerlager BIId.

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Ein wichtiger Brief

Vom Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau erhalten wir auch das Digitalisat eines Briefs, den Feliks am 5. März 1944 an seine Familie geschickt hat:

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Das Absenderfeld enthält eine wichtige Information zu seinem weiteren Haftweg:

„Arbeitslager EWO Jaworzno - Post Jaworzno Block 6“

Jaworzno. Das heißt, Feliks muss spätestens vier Monate nach seiner Ankunft in eines der größten Außenlager von Auschwitz deportiert worden sein: Neu-Dachs, das im Juni 1943 bei Jaworzno errichtet wurde.

Die Häftlinge mussten in den umliegenden Kohlegruben Zwangsarbeit leisten.

Todesmarsch nach Buchenwald

Die Information, dass Feliks Ryba in Neu-Dachs inhaftiert war, ist wichtig für die Erschließung der weiteren Haftstationen.

Als die Front im Januar 1945 näher rückte, wurde der Lagerkomplex Auschwitz geräumt. Im Außenlager Neu-Dachs trieb die SS am 17. Januar etwa 3200 Häftlinge auf einen mehrtägigen Todesmarsch, der von Jaworzno über Myslowitz, Beuthen und Gleiwitz zum Außenlager Blechhammer führte. Bereits in der zweiten Nacht wurden 200 nicht mehr marschfähige Häftlinge von der SS ermordet.

Exhumierungen und Umbettungen

Als im Frühjahr 1945 alliierte Truppen Geländegewinne in deutsch kontrollierten Gebieten erzielen, will die Konzentrationslager-SS die Befreiung der Häftlinge verhindern. Zunehmend werden Häftlinge in Konzentrationslager im Innern des Deutschen Reichs gebracht. Der Kriegsverlauf schränkt geordnete Häftlingstransporte mit Zügen zunehmend ein. Die Häftlinge werden stattdessen auf tage-, manchmal wochenlange chaotische Märsche geschickt. Zehntausende Häftlinge kommen ums Leben; wer zu schwach zu gehen ist, wird zum Sterben zurückgelassen oder ermordet. Wegen der vielen Todesopfer hat sich die Bezeichnung „Todesmärsche“ durchgesetzt.

Eilig angelegte Gräber säumen die Todesmarschrouten. Nach dem Krieg befragen die Besatzungsbehörden die deutschen Gemeinden, ob durch ihre Dörfer Marschkolonnen von KZ-Häftlingen kamen, ob und wo es Gräber gibt und wie viele Tote dort begraben sind. Auf diese Weise sollen die Marschwege und die Verbrechen der Kriegsendphase rekonstruiert werden. Zudem soll den Opfern eine angemessene letzte Ruhestätte geschaffen werden. Die oftmals am Wegesrand verscharrten Toten werden exhumiert und auf lokalen Friedhöfen oder eigens angelegten Ehrenfriedhöfen beerdigt.

In den 1950er Jahren kommt es teilweise zu weiteren Exhumierungen und anschließenden Umbettungen auf Ehrenfriedhöfe oder Rücküberstellungen der Toten in ihre Heimatländer. Leider werden die Toten nie vollständig identifiziert. Sind bei den Exhumierungen Identifikationen möglich, gehen diese Informationen oftmals bei der Umbettung verloren. In den späten 1950er Jahren, als die letzten Ehrenfriedhöfe für NS-Verfolgte errichtet werden, wird „Anonymität“ als gestalterisches Mittel eingesetzt. Die Gräber sollen symbolisch für alle Verstorbenen stehen, die als Kriegsopfer angesehen werden, und nicht nur für diejenigen, deren Leichname geborgen und identifiziert werden konnten.

Die SS trieb die entkräfteten Häftlinge anschließend weiter zum KZ Groß-Rosen, das am 2. Februar erreicht wurde. Am 7. Februar wurden die Häftlinge mit einem Zug zum KZ Buchenwald transportiert.

Was geschah mit Feliks nach der Ankunft in Buchenwald?

Auf seiner Arbeitseinsatzkarte ist eine Einteilung in das Kommando „23/2 Sal“ vermerkt:

Wir entscheiden uns für eine Anfrage an die Gedenkstätte Buchenwald, um die Bedeutung zu klären. Schnell erhalten wir eine Antwort:

Feliks wurde also von Buchenwald nach Bad Salzungen gebracht!

Dort sollten die umliegenden Kalischächte als unterirdische Produktionsstätten für die Flugzeugindustrie genutzt werden. Die Häftlinge der Außenlager „Heinrich Kalb“ und „Ludwig Renntier“ mussten unter Tage Schwerstarbeit leisten, um die Schächte für die Fertigung von BMW vorzubereiten. Teils sahen sie während der gesamten Zeit ihrer Internierung kein Tageslicht. Die salzhaltige Luft der Kalischächte griff außerdem die Atmungsorgane an.

Als sich die Rote Armee näherte, wurde auch der Lagerkomplex Buchenwald geräumt. Feliks wurde zunächst ins Stammlager zurückgebracht und dann zwischen dem 7. und 10. April auf einen Todesmarsch in Richtung KZ Flossenbürg geschickt.

Flossenbürg

In den Wochen vor dem Kriegsende brach die Verwaltung der Konzentrationslager mehr und mehr zusammen. Neu ankommende Häftlinge wurden häufig nicht mehr registriert. Es gibt deshalb keine Dokumente, die Feliks Ankunft im KZ Flossenbürg bestätigen könnten.

Wurde er bereits auf dem Todesmarsch befreit oder erst im Lager selbst? Oder wurde er von Flossenbürg aus erneut auf einen Todesmarsch in Richtung Dachau getrieben?

Diese Fragen können wir leider nicht beantworten.

Feliks war aber sicherlich in Flossenbürg, wenn auch vielleicht nicht als Häftling. Wir finden eine von den amerikanischen Befreiern nachgenutzte Effektenkarte des Konzentrationslagers:

Ein Stempel auf der Karte vermerkt, dass Feliks am 11. Mai 1945 nach Auerbach gebracht wurde. Gemeint ist das dortige Camp für Displaced Persons.

Dies bestätigt eine Transportliste:

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Bereits wenige Tage später, am 18. Mai 1945, starb Feliks im Alter von 47 Jahren. Gesundheitlich zugrunde gerichtet durch die Haft überlebte er die Befreiung des KZ Flossenbürg nur um einen knappen Monat.

Bestimmung der Grablage

Wie wir wissen, wurde Feliks zunächst auf dem Auerbacher Friedhof begraben. Wie kommt es, dass er heute auf dem Ehrenfriedhof der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg bestattet ist?

Und können wir für die Angehörigen die genaue Lage des Grabs herausfinden?

Zu Beginn der 1950er Jahre waren die Gräber der KZ-Opfer über das Land verstreut. Die Verwahrlosung vieler Friedhöfe rief international Protest hervor. In Bayern wurden in der Folge die meisten kleineren Friedhöfe aufgelöst. Die Opfer aus Auerbach wurden 1959 auf den neu angelegten Ehrenfriedhof in Flossenbürg umgebettet.

Viele Umbettungen wurden nur lückenhaft dokumentiert. In Feliks' Fall haben wir aber Glück und finden seinen Namen auf einer Umbettungsliste:

Liste zu Umbettungen auf den Ehrenfriedhof in Flossenbürg, 1959 (KZ-Gedenkstätte Flossenbürg)

Sogar die genaue Grablage auf dem Flossenbürger Ehrenfriedhof ist vermerkt: Feld H, Reihe 4a, Grabnummer 4682.

Um das Grab auf dem Gedenkstättengelände zu finden, betrachten wir zunächst einen Orientierungsplan des Französischen Suchdienstes:

Feld H finden wir auf diesem Übersichtsplan zunächst nicht.

Wir finden in unserem Archiv aber einen weiteren Plan, der das Grabfeld H im Detail zeigt – und hier ist das Grab von Feliks mit der Nummer 4682 vermerkt.

Grabplan des Französischen Suchdienstes zum Feld H des Flossenbürger Ehrenfriedhofs, ca. 1957-1960 (KZ-Gedenkstätte Flossenbürg)

Das Grabfeld H liegt direkt neben dem Feld I. Jetzt ist Feliks' Grab schnell gefunden.

Grabfeld H des Ehrenfriedhofs der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, 2023 (KZ-Gedenkstätte Flossenbürg)

Damit können wir die Anfrage der Angehörigen beantworten. Wir wissen nun mit Sicherheit, dass Feliks auf dem Ehrenfriedhof der Gedenkstätte bestattet ist und können seinem Sohn und seiner Urenkelin sogar die genaue Grablage mitteilen.

Gedenkstein der Familie

Angehörige können an der Grabstelle einen Gedenkstein setzen lassen. Feliks' Familie entscheidet sich, in Polen einen Stein fertigen zu lassen und anschließend die KZ-Gedenkstätte zu besuchen.

Im Mai 2022 ist es soweit.

Sandra und ich gehen vor dem Treffen noch einmal die Recherche durch, um alle Fragen beantworten zu können.

Wir begrüßen Feliks' Sohn Józef, seine Urenkelin Monika sowie seinen Urenkel Mikołaj und zeigen ihnen die Gedenkstätte.

Die Familie setzt schließlich den Gedenkstein auf die Grabstelle. Ein Akt voller Emotionen. Auch Sandra und ich sind völlig ergriffen.

Feliks' Nachlass

Die Familie überlässt der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg mehrere Briefe von Feliks aus Auschwitz und Neu-Dachs, die einen Einblick in seine Gefühlswelt geben.

Viele seiner Wünsche blieben unerfüllt:

„Wenn Gott helfen wird, komme ich zurück und dann nehme ich Dir die Last ab“, schrieb Feliks etwa an seine Frau Irena.

Auch seine Söhne Stanisław und Józef, von ihm liebevoll Stasio und Józio genannt, sollte er nicht wiedersehen.

Mit dem Gedenkstein an seinem Grab erfüllten sein Sohn Józef und seine Urenkel jedoch den Wunsch, mit dem Feliks einen seiner Briefe beschloss:

„Bitte auch weiter […] mir zu gedenken. Grüsse u. küsse Euch herzlich“

Brief von Feliks Ryba aus dem Außenlager Neu-Dachs, 2.7.1944 (KZ-Gedenkstätte Flossenbürg / Privatbesitz der Familie Ryba)

Feliks Ryba, geboren am 7.5.1898, gestorben am 18.5.1945 (KZ-Gedenkstätte Flossenbürg / Privatbesitz der Familie Ryba)
Feliks Ryba, geboren am 7.5.1898, gestorben am 18.5.1945 (KZ-Gedenkstätte Flossenbürg / Privatbesitz der Familie Ryba)
Briefe aus den Konzentrationslagern sind nicht nur bewegende Zeugnisse, die einen Einblick in die Gefühlswelt der Häftlinge vermitteln. Sie können auch helfen, Haftwege zu rekonstruieren.

Eine Research Story von René Wennmacher,
KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, 2023.